Hindernissen
CL-Prinzip: “Im passiven Pressing als Hindernis immer den tiefen Passweg verstellen.” #tieferpass
EINLEITUNG
Lenken und Pressen
Mit dem Wort „lenken“ assoziieren wir im Alltag die bewusste Änderung der Fahrtrichtung eines Autos oder eines Fahrrads durch den Fahrer. Der genaue Weg ist dabei – anders als beim Schienenverkehr – nicht vorgegeben. Ein Fahrradfahrer kann selbst entscheiden, zu welcher Seite er einem Hindernis wie beispielsweise einem Fußgänger ausweicht.
Die im Fußball verwendete Definition des Pressings leitet sich aus dem englischen Verb „to press“ ab und beschreibt eine Defensivhandlung, bei der der ballführende Gegner kollektiv unter “Druck” gesetzt wird. In diesem Kontext beschreibt „lenken“, das Bestreben einer Mannschaft die Richtung des gegnerischen Spielaufbaus durch das eigene Pressing zu beeinflussen. Im Unterschied zum Radfahrer, der ausschließlich selbst für den Fahrtweg verantwortlich ist, offenbart das Fußballspiel die Herausforderung der gegnerischen Entscheidung. Das aus dem Pressing bestenfalls eine Balleroberung resultiert ist davon abhängig, ob der Gegner den Ball auch tatsächlich in die gewünschte Situation hineinpasst. In diesem Zusammenhang ist die Defensive also weniger der lenkende Fahrer, sondern vielmehr das Hindernis auf dem Weg zum Tor. Nachfolgend wird daher eine Unterscheidung zwischen aktivem Pressen und passivem Pressen - oder eher „Hindernissen“ - am Beispiel eines 4-4-2-Mittelfeldpressings diskutiert.
Abb.1: Blau will im 4-4-2 den Gegner durch seitliches Anlaufen nach außen lenken und so aktiv eine Balleroberung provozieren.
Aktives Pressing
Der Versuch, den Gegner in seinem Spielaufbau bewusst auf einen bestimmten Spielfeldabschnitt zu beschränken, ist eine mögliche Definition des aktiven Pressings. Das marginal bogenförmige Anlaufen im Pressing steht stellvertretend für dieses Vorhaben (Abb.1). Mit einem Pass als Auslöser zwischen die gegnerischen Innenverteidiger läuft der ballnahe Stürmer den Ballführer an und verhindert so den erneuten Querpass. Die Mitspieler orientieren sich in Richtung der Ballseite und provozieren durch ihr Verhalten das nächste gegnerische Zuspiel. So werden in diesem Beispiel zentrale Spieler mannorientiert zugelaufen, während der gegnerische Außenverteidiger bewusst freigelassen wird. In der Idealvorstellung wird genau dieser Gegenspieler flach angespielt und kann dann gepresst werden - oder das Zuspiel zu diesem Spieler kann bereits abgefangen werden. Durch das mannschaftliche Verdichten und die Mannorientierung in Ballnähe ist die Wahrscheinlichkeit für einen Ballgewinn in der Raumenge deutlich gestiegen.
Leider birgt der einleitende Bogenlauf des Stürmers ein entscheidendes Risiko, denn je mutiger der Rückpass zum anderen Innenverteidiger zugelaufen wird, desto eher bietet sich dem Gegner die Möglichkeit das Spiel nach vorne fortzusetzen. Der gegnerische Innenverteidiger könnte situativ entweder andribbeln oder einen Pass in Spielrichtung tief forcieren. Beides birgt die Gefahr, unmittelbar in der ersten Pressingreihe überspielt zu werden. Dem Gegner kann es so gelingen, durch den Defensivblock bzw. das Hindernis hindurchzuspielen.
Abb.2: Blau läuft frontal an und lenkt dadurch nach außen.
Passives Pressing
Liegt der Fokus im Pressing hingegen auf einem frontaleren Anlaufverhalten, werden zwangsläufig gegnerische Passwege in Spielrichtung tief verstellt (#tieferpass). Der Gegner muss sich dadurch für eine von zwei Seiten entscheiden, um den anlaufenden Spieler als Hindernis zu umspielen. Koordinieren die Spieler der vordersten Pressingreihe ihr frontales Anlaufverhalten, bleibt dem Gegner lediglich eine Seite zur Spielfortsetzung (Abb.2): In dieser Variante läuft zunächst der rechte Außenspieler den gegnerischen linken Außenverteidiger an, dann leicht zeitversetzt der rechte Stürmer den gegnerischen linken Innenverteidiger und so weiter. Durch das sukzessive Vorrücken aus der Kompaktheit heraus, entsteht automatisch ein Steller-Sicherer-Verhalten, welches in Kombination mit dem frontalen Anlaufen bewirkt, dass dem Gegner kaum Passoptionen in Spielrichtung bleiben. Auf diese Weise werden weitere Querpässe innerhalb der Abwehrreihe provoziert. In der Folge wird der Gegner ebenfalls vom Pressing (passiv) in eine Außenspur gelenk.
Das passive Lenken in diesem Beispiel unterscheidet sich vom aktiven (bogenförmigen) Anlaufen mit einem stärkeren Fokus auf der Torverteidigung. Letzteres ist aufgrund des direkten Verstellens des tiefen Passweges (#tieferpass) ein effizientes Defensivprinzip, während das aktive Pressing durch ein seitliches, an der inneren Linie orientiertes Anlaufverhalten ein höheres Risiko überspielt zu werden hat.
Abb.3: Blau verdichtet das Zentrum. Die Defensive stellt primär tiefe Passwege zu und fungiert so kollektiv als Hindernis.
Pressen oder „hindernissen“
Beim passiven Pressing wird der Gegner durch konsequentes Zustellen der zentralen Anspielpunkte gezwungen, um den Defensivblock bzw. das Hindernis herum oder darüber zu spielen (Abb.3). Dabei ist der eigene Mannschaftsverbund weniger auf Balleroberung, sondern vielmehr auf Tiefensicherung ausgerichtet. Da es sich genaugenommen um ein „passives drücken“ handelt, wäre es in diesem Verständnis stimmiger von „hindernissen“ statt pressen zu sprechen.
Zur Unterscheidung des Pressingtyps, je nach Spielphase und Verteidigungshöhe, ist für die Instruktion der Spieler bedeutend, dass sie im passiven Pressing dem Prinzip folgen, immer den tiefen Passweg zu verstellen. Im Gegensatz zum aktiven Pressing mit marginalen Lenkverhalten (Abb.1) orientiert sich der ballnahe Stürmer beim „Hindernissen“ gemeinsam mit dem äußeren Mittelfeldspieler Richtung Halbspur. Beide stärken so das Zentrum und verteidigen von innen nach außen. Positioniert sich der ballferne Stürmer etwas weiter vorne, kann das gegnerische Überspielen zum ballfernen Innenverteidiger und so weite Laufwege im Mannschaftsverbund verhindert werden. Durch den geringen Druck auf den ballführenden Spieler ist deutlich mehr Geduld der verteidigenden Mannschaft gefordert. Sie verteidigen einen möglichen gegnerischen Spielaufbau kollektiv als Hindernis. Flache gegnerische Pässe nach vorne können im Verbund erobert werden, während hohe Zuspiele hinter die Abwehrreihe durch frühzeitiges Absetzen abgelaufen werden sollten.
FAZIT
Für die Spieler in Ballbesitz ist die verteidigende Mannschaft das Hindernis auf dem Weg zum Tor. Dieses Hindernis kann theoretisch durch drei Wege überwunden werden: durch das das Hindernis hindurch, um es herum und über es hinweg. Je aktiver das Lenkverhalten und die Absicht der Balleroberung im Anlaufverhalten ist, desto mehr kann von aktivem Pressing gesprochen werden. Beim Defensivprinzip #tieferpass wird der Fokus kollektiv auf das Zustellen tiefer gegnerischer Passwege gerichtet. Dieses Abwehrverhalten entspricht einer Art „hindernissen“ (= passives Pressing).
DENKANSTOSS
Die beiden Pressingvarianten aktiv oder passiv gelten unabhängig von konkreten Systemen. Sie unterscheiden sich jedoch in der Intention, im Anlaufverhalten sowie in der Intensität und Risikobereitschaft den ballführenden Gegenspieler unter Druck zu setzen. Die Bedeutung des Pressingtyps in den verschiedenen Defensivphasen bzw. Verteidigungshöhen sollte daher noch differenzierter betrachtet und geschult werden: Im Angriffspressing wird die durch den gegnerischen Torwart bedingte Unterzahl mittels aktivem Lenkverhalten ausgeglichen, um eine Balleroberung zu forcieren. Je näher dagegen der Mannschaftsverbund am eigenen Tor verteidigt, desto wichtiger ist es, direkte Passwege zum Tor zuzustellen – die verteidigende Mannschaft muss „hindernissen“.