90°-Ball

CL-Wording: Der 90°-Ball wird von den Außenspuren orthogonal zur Spielrichtung gespielt, um spieloffene Spieler in der Red Zone in Ballbesitz zu bringen. #90gradball

Abb. 1: Die 6 (blau) ist spieloffen in Ballbesitz wobei sich der Gegner im Zentrum formiert. Der Deckungsschatten von 11, 8 und 6 (rot) versperrt vertikale Zuspiele in die Red Zone.

Abb. 1: Die 6 (blau) ist spieloffen in Ballbesitz wobei sich der Gegner im Zentrum formiert. Der Deckungsschatten von 11, 8 und 6 (rot) versperrt vertikale Zuspiele in die Red Zone.

EINLEITUNG

Die Red Zone

Die Red Zone ist der zentrale Raum vor der gegnerischen Abwehrreihe. Dieser Terminus stammt ursprünglich aus dem American Football und soll den Ort aufzeigen, an dem die Wahrscheinlichkeit eine Torchance herauszuspielen am Größten ist.

Die Höhe dieser Zone definiert sich in Bezug auf die gegnerische Verteidigungslinie. Dabei hängt besonders die Größe des zu bespielenden Raumes in der Red Zone vom Abstand der gegnerischen Mittelfeldreihe zur Abwehrreihe ab. In dieser Raumenge ist zwar das Kombinieren schwierig, jedoch sind in der Red Zone vielversprechende letzte oder vorletzte Zuspiele zum Torerfolg möglich. Daher sollte es ein bedeutendes Ziel des Übergangsspiels sein, in die Red Zone zielgerichtet hineinzuspielen.

Weil die abwehrende Mannschaft stets ihren Deckungsschatten anpasst, sodass das gegnerische Vertikalspiel verhindert werden kann, ist es sehr anspruchsvoll mit Zuspielen gen Spielrichtung in den Rücken der Mittelfeldreihe zu gelangen (Abb. 1). Dagegen bietet der #90gradball eine Alternative, die typische Verhaltensmuster im Abwehrverhalten ausnutzt, um in der gegnerischen Red Zone spieloffene Spieler in Ballbesitz zu bringen.

THEORIE

Das Offensivpotential der inneren Linie

In Betrachtung gängiger Defensivkonzeptionen ist augenscheinlich, dass die Red Zone, neben dem Rücken der Abwehrreihe, der am besten geschützte Raum ist (Abb. 1). Das liegt vor allem an den Defensivprinzipien der Tiefensicherung, die vorschreiben tiefe Passwege oder die innere Linie zuzustellen. Das Ziel der Defensive ist es dadurch gegnerischen Raumgewinn zu verhindern. Rückpässe hingegen werden je nach Pressingintensität zugelassen und als Erfolg für gute Defensivarbeit gewertet. Ebenda liegt das Potential eines 90° zur Spielrichtung gespielten Passes. Diese Zuspiele werden von der Defensive nicht als primäre Bedrohung des Abwehrverbunds eingeschätzt und deshalb nicht immer verhindert. Ein weiteres Merkmal des #90gradballs ist die Passlänge: Während weiträumige Zuspiele häufig entweder hohe Diagonalbälle oder Flanken sind, wird der #90gradball nicht lediglich als Querpass in die naheliegende Spur gespielt, sondern sollte eine Spurenbreite überspielen. Da das Augenmerk der Defensive auf dem Ballführer und seinen ballnahen Anspielpunkten liegt, ermöglicht ein spurenübergreifender #90gradball spieloffene Spieler in der Red Zone in Ballbesitz zu bringen.

Abb. 2: Das Steller-Sicherer-Paradoxon: Da der Sicherer immer den Pass in den Rücken verstellen sollte (Bild 1), kann theoretisch unendlich quer gespielt werden (Bild 2, 3), bis ein Spieler aus einer anderen Ebene den Ballführer stört.

Abb. 2: Das Steller-Sicherer-Paradoxon: Da der Sicherer immer den Pass in den Rücken verstellen sollte (Bild 1), kann theoretisch unendlich quer gespielt werden (Bild 2, 3), bis ein Spieler aus einer anderen Ebene den Ballführer stört.

Das Steller-Sicherer-Paradoxon

Neben der Tiefensicherung der abwehrenden Mannschaft kommt dem #90gradball das Steller-Sicherer-Verhalten des Gegners entgegen. Das Absichern des verteidigenden Spielers führt paradoxerweise dazu, dass es für die Abwehr bei Querpässen in derselben Spielfeldebene nahezu unmöglich ist, in eine Balleroberung zu kommen. Die Defensive nimmt nämlich üblicherweise diese Bälle bewusst in Kauf, da vorzugsweise der eigene Rücken gesichert werden soll (Abb. 2). Dieses Dogma des gegnerischen Abwehrspiels birgt somit großes Potential für das eigene Spiel, um mit Hilfe des #90gradballs Offensivspieler im Zwischenraum anzuspielen.

Die 90°-Flanke

Der #90gradball hat besonders als Variante im Flankenspiel in den letzten Jahren als Stilmittel zugenommen. Dies ist eine Anpassung der Offensive, da die Verteidiger größtenteils gelernt haben sehr mannorientiert im Strafraum zu agieren und sich zudem zur besseren Flankenverteidigung sehr früh absetzen. Wird die Flanke nun flach, entgegen der Absetzbewegung der Verteidigung gespielt, kann es gelingen einen in die Red Zone startenden Spieler vielversprechend in eine Torabschlusssituation zu bringen (Abb. 3).

Um die 90°-Flanke überhaupt zu ermöglichen ist es dennoch unabdingbar, dass mindestens ein Spieler „klassisch“ den Rücken der Abwehr beläuft. Dieser Lauf führt dazu, dass die Abwehr sich absetzen muss - sonst würde ein #90gradball leicht abgefangen werden.

Abb. 3: Der #90gradball als Flanke: Da die Verteidigung sich frühzeitig absetzt, um eine Flanke in den Rücken der Abwehr zu antizipieren (1), kommt ein ballferner einlaufender Spieler durch den #90gradball (2) zu einer Abschlussmöglichkeit.

Abb. 3: Der #90gradball als Flanke: Da die Verteidigung sich frühzeitig absetzt, um eine Flanke in den Rücken der Abwehr zu antizipieren (1), kommt ein ballferner einlaufender Spieler durch den #90gradball (2) zu einer Abschlussmöglichkeit.

Abb. 4: Der #90gradball im Übergangsspiel: Der Mittelfeldaußen nutzt die Tiefensicherung der abwehrenden Mannschaft aus, um ballferne Spieler in der Red Zone in Ballbesitz zu bringen.

Abb. 4: Der #90gradball im Übergangsspiel: Der Mittelfeldaußen nutzt die Tiefensicherung der abwehrenden Mannschaft aus, um ballferne Spieler in der Red Zone in Ballbesitz zu bringen.

Mit 90° in die Red Zone

Das frühzeitige Absetzverhalten der Abwehr und ihre Tiefensicherung, sind die wesentlichen Voraussetzungen für die erfolgreiche Anwendung eines #90gradballs. Dieses Verhalten lässt sich bei der Defensive leichter provozieren wenn sie, wie z.B. im Mittelfeldpressing, viel Raum in ihrem Rücken absichern muss. Dennoch ist der #90gradball ein Phänomen, das aktuell eher im Angriffsdrittel bei Flanken praktiziert wird. Auch wenn das Absetzverhalten der Innenverteidigung vor einer Flanke sicherlich hektischer ist, als vor einem tiefen Pass im Mittelfeld, liegt im Übergangsspiel großes Potential für das geplante Spiel in die Red Zone mittels #90gradball (Abb. 4). Dafür ist es wichtig, die Spieler zu sensibilisieren, im Übergangsspiel ihren Blick nicht nur auf ballnahe Passoptionen zu beschränken. So gelingt es, dass durch weiträumige Querpässe aus den Außenspuren vielversprechend in die vor Vertikalspiel gut geschützte Red Zone des Gegners hineingespielt werden kann. Darüber hinaus stellt dieses Stilmittel die Abwehr vor die schwierige Herausforderung nicht nur Pässe in Spielrichtung zu decken, sondern auch die Spielfeldhorizontale im Blick zu behalten. Das Offensivspiel gewinnt folglich mit dem #90gradball eine neue Dimension und dadurch viel größere Variabilität und Flexibilität.

FAZIT

Der #90gradball macht sich die gängigen Abwehrprinzipien, wie das Steller-Sicherer-Verhalten der gegnerischen Defensive zu nutzen, um Offensivspieler in der Red Zone in Ballbesitz zu bringen. Weiträumige Querpässe, die entgegen der Absetzbewegung der Abwehr gespielte werden, haben in den letzten Jahren das Flankenspiel um eine effektive Option bereichert. Da das Abwehrspiel, unabhängig im welchem Spielfelddrittel es praktiziert wird, die Tiefensicherung fokussiert, birgt der #90gradball auch im Übergangsspiel Potential zur erfolgreichen Anwendung. Dadurch ist er eine willkommene Alternative zum Vertikalspiel, um ein variables Spiel in die Red Zone zu initiieren.

DENKANSTOSS

Das Steller-Sicherer-Paradoxon erlaubt es dem Gegner nach Querpässen ungehindert in eine spieloffene Stellung zu gelangen. Wie könnte der Defensivverbund agieren, um einen #90gradball/Querpass besser zu verteidigen?

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Tiefer Lauf