Tiefer Lauf

CL-Prinzip: “Bei spieloffenem Ballführer mindestens ein tiefer Lauf, bei gestelltem Ballführer entgegenkommen und anspielbar sein.” #tieferlauf

Abb. 1: 8 (blau) kommt spieloffen in Ballbesitz. „Klassisch“ ist es nun oft die Aufgabe von 11 (blau) in der Halbspur entgegenzukommen, um als Wandspieler zu fungieren. Der Erfolg der Spielfortsetzung ist dabei bedingt durch das Timing von Abspiel u…

Abb. 1: 8 (blau) kommt spieloffen in Ballbesitz. „Klassisch“ ist es nun oft die Aufgabe von 11 (blau) in der Halbspur entgegenzukommen, um als Wandspieler zu fungieren. Der Erfolg der Spielfortsetzung ist dabei bedingt durch das Timing von Abspiel und Freilaufbewegung.

EINLEITUNG

Kommen-Gehen

Die Freilaubewegungen in und entgegen der Spielrichtung werden zwichen „Kommen-Gehen“ und „Gehen-Kommen“ unterschieden. Bei der Konzeption des Spielaufbaus wird primär das Entgegenkommen potentieller Passempfänger berücksichtigt. Wenn, wie im Beispiel Abb. 1, 4 oder 8 (blau) in Ballbesitz sind, wird häufig die Spielfortsetzung durch den Mittelfeldaußen 11 (blau) in der Halbspur eingefordert. Dies hat den Vorteil mittels “Steil-Klatsch-Kombination” Raumgewinn zu erzielen, um erneut einen spieloffenen Spieler in einer höheren Ebene in Ballbesitz zu bringen. Dabei ist das Vertikalspiel für die Gegenspieler, die ihren Blick gen Spielrichtung orientieren, anfällig für die vorwärtsverteidigende Defensive. So hängt das Gelingen des Übergangsspiels vom komplexen Timing der Freilaufbewegungen und des Abspielmoments ab. Weniger in den Fokus bei der Spieleröffnung, bzw. des Übergangsspiels, rückt die Funktion der tiefen Laufwege. Dabei ist gerade der Tiefgang der Offensivreihe entscheidend für die Fläche des zu bespielenden Zwischenraums. Während ein Entgegenkommen der Offensivspieler kurzfristig den Zwischenraum verkleinert, forcieren tiefe Läufe eine Absetzbewegung der Abwehr und vergrößern dadurch den bespielbaren Raum zwischen Abwehr- und Mittelfeldreihe. Um situationsbedingt adäquate Offensivhandlungen auszuwählen, hilft ein prinzipienbasiertes Spiel ohne Ball - im Gegensatz zu kausalen „Wenn-Dann-Spielaufbaumustern“ - effiziente Offensivhandlungen im Übergangs- und Angriffsspiel anzuwenden.

Abb. 2: 11 und 9 (blau) haben die Halbspur im Blick und kommen entgegen, um als Anspielpunkt zu fungieren. Die gegnerische Abwehrreihe schiebt kollektiv vor. Der Zwischenraum verkleinert sich.

Abb. 2: 11 und 9 (blau) haben die Halbspur im Blick und kommen entgegen, um als Anspielpunkt zu fungieren. Die gegnerische Abwehrreihe schiebt kollektiv vor. Der Zwischenraum verkleinert sich.

THEORIE

Tiefe Läufe

Die Bedeutung der „tiefen Läufe“ im Angriffsdrittel wird unterschätzt. Wenn auch jede Angriffsreihe im Spielverlauf intuitiv eine Anzahl an Läufen hinter die gegnrische Abwehr fordert, so unterscheidet sich die Häufigkeit der tiefen Läufe in vielen Mannschaften doch deutlich. Es gibt bis dato zwar keine untersuchte Korrelation zwischen Torgefährlichkeit und Anzahl der tiefen Läufe, allerdings ist offensichtlich, dass dem Lauf in den Rücken der Abwehr eher zu wenig, als zu viel Bedeutung beigemessen wird. Ein Grund für dieses brachliegende Offensivpotential könnten traditionelle Spielaufbaumuster und Passabfolgen sein. In klassischen “Steil-Klatsch-Kombinationen” wird das Kommen der Offensivreihe besonders in den Fokus gerückt. So steht die Aufgabe des Entgegenkommens üblicherweise im Spielaufbau auf der Agenda wohingegen die Frage welche Spieler den Rücken der Abwehrreihe belaufen sollen eher nachrangig thematisiert wird. Die Bezeichnung Freilaufverhalten kann bei dieser Offensivkompetenz hinderlich sein, denn diese suggeriert den Spielern ihr primäres Ziel sei es als Anspielpunkt zu fungieren. Durch diese Betrachtungsweise rückt das Kombinationsspiel oft unnötig in den Vordergrund, so ist doch der Raum im Rücken der Abwehr im Spiel mit Ball von deutlich größerem Interesse. Dem Passgeber ballnahe Anspielpunkte zu bieten ist wichtig, doch gleichbedeutend ist es, stets freie Räume im Rücken der Abwehrreihe zu suchen. Die Angriffsreihe bindet in Ballbesitz die gegnerischen Abwehrspieler. Kommt ein Angreifer entgegen, um als Wandspieler anspielbar zu werden, nimmt er je nach gegnerischem Bindeverhalten auch seinen nominellen Gegenspieler entgegen der Spielrichtung mit. Beim Entgegenkommen mehrerer Angreifer kann dadurch sogar die komplette gegnerische Abwehrreihe näher an ihre Mittelfeldreihe rücken, was den Zwischenraum deutlich verkleinert und das Übergangsspiel somit erschwert (Abb. 2). Die Angreifer sollten daher dafür sensibilisiert werden, welche negativen Konsequenzen ein häufig monotones Entgegenkommen für das Übergangsspiel hat.

Abb. 3: 8 (blau) steht spieloffen und wird nicht aktiv gestellt. 7 und 11 (blau) starten in den Rücken der Abwehrreihe, wodurch die Abwehrspeler sich kollektiv absetzten. 9 (blau) wird anspielbar, ohne sich dafür selbst freizulaufen.

Abb. 3: 8 (blau) steht spieloffen und wird nicht aktiv gestellt. 7 und 11 (blau) starten in den Rücken der Abwehrreihe, wodurch die Abwehrspeler sich kollektiv absetzten. 9 (blau) wird anspielbar, ohne sich dafür selbst freizulaufen.

Die Abwehr bewegen

Gelingt es einen Ballbesitzer in eine spieloffene Position zu bringen, sollte die Abwehrkette von mindestens einem tiefen Lauf bedroht werden (#tieferlauf). Dadurch muss die gegnerische Abwehrreihe entweder kollektiv den Angreifer im Abseits stehen lassen oder den tiefen Lauf durch ein Absetzverhalten aufnehmen. Da gleichzeitig die gegnerische Mittelfeld- und Angriffsreihe in der Defensive hauptsächlich auf ihre nominellen Gegenspieler in Ballnähe achten, kann durch tiefe Läufe der Zwischenraum kurzfristig vergrößert werden. Im Beispiel der Abb. 3 gelingt es durch die tiefen Läufe von 7 und 11 (bau) den Stürmer 9 (blau), ohne dass dieser entgegenkommen muss, in eine anspielbare Position zu bringen. Durch Läufe in den Rücken der gegnerischen Abwehr kann dementsprechend die realtaktische Defensivformation des Gegners auseinandergezogen und dadurch bespielbare Räume geöffnet werden. Die Voraussetzung hierfür ist, dass der Ballbesitzer sich in einer Spielstellung befindet, in der er das Spiel durch ein flaches oder hohes Zuspiel in den Rücken der Abwehr fortsetzen könnte. So muss die gegnerische Abwehrreihe kollektiv entscheiden und sich im Verbund bewegen – rausrücken oder absetzen - denn sie droht sonst überspielt zu werden.

 Den Ballbesitzer im Blick

Der wichtigste Spieler auf dem Feld ist der Ballbesitzer. Um diesen bei eigenem Ballbesitz stets im Blick zu behalten, sollten die Offensivspieler halboffen agieren. Dies ermöglicht ihnen genau zu beobachten, ob der Spieler am Ball in einer Drucksituation ist oder ob er das Spiel in Spielrichtung tief fortsetzen kann. Wird der Ballbesitzer gestellt, so sollte mindestens ein Mitspieler entgegenkommen. Ist der Ballbesitzer spieloffen, so sollte mindestens ein Mitspieler einen tiefen Lauf in den Rücken der Abwehr fordern (Abb. 4). Für dieses Handlungsprinzip sollten potenziellen Passempfänger sensibilisiert werden, sodass die gegnerische Abwehrreihe ständige vor Herausforderungen gestellt wird und zugleich das Übergangsspiel nicht ins Stocken gerät. Die Anwendung dieses Offensivprinzips ist im Übrigen auch beim Konterspiel vielversprechend zur geradlinigen Spielfortsetzung.

Abb. 4: Links: Der Ballführer wird vom Gegner aktiv gestellt. Die Mitspieler sollten entgegenkommen und ihm helfen. Rechts: Der Ballführer ist spieloffen und kann das Spiel in Spielrichtung fortsetzen. Die Mitspieler sollten nun den Rücken der Abweh…

Abb. 4: Links: Der Ballführer wird vom Gegner aktiv gestellt. Die Mitspieler sollten entgegenkommen und ihm helfen. Rechts: Der Ballführer ist spieloffen und kann das Spiel in Spielrichtung fortsetzen. Die Mitspieler sollten nun den Rücken der Abwehr belaufen und dadurch die Abwehr zur Reaktion zwingen.

FAZIT

Tiefe Läufe in den Rücken der gegnerischen Abwehr sind von großer Bedeutung für ein erfolgreiches Offensivspiel. Befindet sich ein Ballbesitzer in einer spieloffenen Position, so sollte mindestens ein Spieler mit einem tiefen Lauf in den Rücken der Abwehr starten (#tieferlauf). Die Abwehrreihe muss auf diese Läufe reagieren und wird dadurch gebunden. Die Offensive kann nun entweder die in den Rücken der Abwehr startenden Spieler anspielen oder den vergrößerten Raum zwischen Mittelfeld- und Abwehrreihe zum Übergangsspiel nutzen. Wird dagegen ein Ballbesitzer in einer Drucksituation vom Gegner aktiv gestellt, so sollte mindestens ein Spieler entgegenkommen und ihm als Anspielpunkt helfen. Die Grundvoraussetzung für ein effizientes Spiel in Ballbesitz ist, dass alle Mitspieler stets die Spielsituation des Ballbesitzers im Blick haben.

DENKANSTOSS

Im Spielaufbau werden häufig umständliche “Steil-Klatsch-Kombinationen” in engen Räumen fokussiert. Sollte als offensichtlichste Lösung zum Torerfolg nicht zunächst besprochen werden, welche Spieler unmittelbar in den Rücken der Abwehr starten können, um dort in Ballbesitz zu gelangen? Nur wenn die Abwehrreihe die geradlinigen Offensivläufe aufnimmt und verteidigt, bedarf es zum Herausspielen von Torchancen einen Umweges über das Übergangsspiel zu gehen.

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